Jasper, Christiane / Stiller, Barbara

Klangvolles Leben in alten Gemäuern

Ein musikalisches Unterrichtserlebnis - ab Klasse 3 und für Förderschulen

Thema: Aufsatz
erschienen in: Musik in der Grundschule 2001/02 , Seite 06

Dieses Unterrichtserlebnis beschreibt eine musikalische Touristenführung durch eine mittelalterliche Burg mit verschiedenen szenisch-musikalischen Elementen.

1. Begrüßungsrap

Die Einladung mit dem “Begrüßungsrap” (s. u.) dient als Auftakt zu einer musikalischen Unterrichtssequenz, die die Elemente Singen, Sprechen, Bewegung, Tanz und elementares Instrumentalspiel miteinander verknüpft. Alle notierten Spielideen basieren auf der Improvisationsskizze und sollen als Anregung für einen freien und experimentellen Umgang mit Stimme und Instrumenten verstanden werden.

Vorschläge der Schüler bereichern die Ausgestaltung und sollten in den Ablauf integriert werden. Sind die Kinder an einen selbstständigen Umgang mit Verklanglichungen gewöhnt, so können die einzelnen Stationen der Burgführung sowohl in der szenischen als auch in der musikalischen Gestaltung in Gruppenarbeit von den Schülern allein erarbeitet werden. Möchte man über dieses Thema eine Einführung in die Notation geben, so bietet es sich an, grafische Partituren nach den Vorstellungen der Kinder malen zu lassen.

Ziel der unten aufgeführten Einheit ist eine abschließende Aufführung, die sowohl instrumental als auch in Kombination mit szenischen Standbildern dargestellt werden kann. Eine fächerübergreifende Ausweitung des Themas bietet sich an.

2. Der Ziehbrunnen

Das instrumentale und vokale Spielstück “Der Ziehbrunnen” beschreibt in vier kurzen Abschnitten das Heraufziehen eines Wassereimers mit Hilfe einer alten, knarrenden Kurbel, das Ausgießen des Wassers und das zügige Zurückfallen des Eimers in den Brunnen. Eine Verklanglichung unter besonderer Berücksichtigung des Parameters Tonhöhe ist nahe liegend. Um die aufsteigenden Tonfolgen der Stabspiele und Lotusflöten gruppieren sich nach blubberndem Wasser klingende Stimmäußerungen und prägnante Schnarrlaute der knackenden Kurbel (a). Nach einem sehr kurzen und spannungsgeladenen Moment der Stille (b) wird das Ausströmen des Wassers durch das Rieseln der Rainsticks, stimmlose “Sch”-Laute und hohe, repetierte Töne der Stabspiele verdeutlicht (c). Ein schnelles und kraftvolles Abwärtsglissando der Lotusflöten und Stabspiele, untermalt vom erneuten Knarren der Kurbel und glucksenden Vokaltönen, beschließt den Ablauf (d), bevor die Aktion von vorne beginnt.

Vordergründiges Ziel dieser lmprovisationsidee ist ein intensives Aufeinanderhören, um den dynamischen Spannungsbogen des Stücks gemeinsam zu erleben wie auch einen instrumentalen Ausgleich der Stimmen (keine Dominanz einzelner Spieler) zu schaffen.

Mit wenigen Hilfsmitteln kann man folgendes szenische Standbild umsetzen: Ein großes rechteckiges Tuch (z. B. Laken) wird an der langen Seite mit einem kleinen Saum um einen großen Gymnastikreifen geschlagen und mit Sicherheitsnadeln ringsum befestigt. Hebt man den Reifen vom Boden, so entsteht ein zylindrischer Körper, der einem Brunnen ähnelt. Zwei in dem Reifen stehende Kinder halten diesen in Kopfhöhe. Ein weiteres, in der Mitte sitzendes Kind lässt passend zur Musik zwei Stangen (ca. 60 cm), an denen locker je zwei bis drei aufgeblasene blaue Luftballons befestigt sind, aus dem Inneren des Brunnens nach oben steigen: Die Wasserblasen tanzen blubbernd aus dem Brunnen und verlieren sich wieder in ihm.

3. Das Treppenstufenhinaufsteigstück

Bei diesem “Treppenstufenhinaufsteigstück” handelt es sich um ein rhythmisches Sprechstück. In der Einstudierungsphase sollte stets ein lockeres und gelöstes Artikulieren der Sprache im Vordergrund stehen. Darüber hinaus regt die erste Zeile zum singenden Erzählen und damit zu einer reizvollen Mischform aus Stimme und Sprache an. Das singende Erzählen sollte nicht nur als Vorläufer zum melodisch-intonierten Singen verstanden werden, sondern vielmehr als eigenständiges Element zum stimmlich gelösten Improvisieren mit dem gesamten Sprechapparat zum Einsatz kommen. Exakte Tonhöhen spielen im vorliegenden Beispiel keine Rolle, es soll lediglich die Idee eines tonleiterartigen Verlaufs (Zeile 1) angestrebt werden. Mitunter kann der Einsatz unterstützender Klanggesten zu einem frei schwingenden Sprachklang beitragen. Im vorliegenden Stück dominiert der vielfältige Einsatz von Stimme und Sprache vor komplizierten und in ihrer Komplexität für sich stehenden Körperklängen. Die zweite Zeile wird mit einem durchlaufenden Achtelmetrum untermalt, bei dem die linke Hand ruhig und gestreckt vor den Brustkorb gehalten wird, während die rechte abwechselnde Patscher zwischen dem Brustkorb und der linken Hand ausführt. In der dritten Zeile wird der Vers im Duktus des vorgegebenen Sprachrhythmus klatschend begleitet. Dabei sollte sich die Klanggeste im weiteren Verlauf vom Flachhand- zum Hohlhandklatschen so entwickeln, dass der letzte Ton dem Kontext entsprechend möglichst hohl resp. “morsch” klingt.

4. Die alte Standuhr

In diesem leicht überschaubaren rhythmischen Stück rückt der Parameter Tempo ins Zentrum des musikalischen Agierens. Ist das Stück in seiner Struktur erarbeitet und in der Ausführung stabil, kann mit dem Tempo gespielt werden. Die Lehrkraft, ggf. auch ein dirigierender Schüler, zeigt durch deutliches Gestikulieren oder Klatschen des Viertel-Pulses oder durch ein vorab verabredetes Zeichen an, ob das Tempo schneller oder langsamer werden soll. Darüber hinaus bieten die Pausen im vierten Takt die Möglichkeit, das Tempo zu variieren und ein neues vorzugeben. Die Flöte sollte anfänglich frei oder auf Zeichen der Lehrkraft zum Spiel der drei Unterstimmen einsetzen und sich erst im weiteren Verlauf am notierten Rhythmus orientieren. Die alte Standuhr lässt sich zur Musik auch szenisch darstellen. Vier bis sechs Kinder stehen in einer Reihe mit leicht gespreizten Beinen. Das vorderste Kind beginnt wie ein Metronom von einer Seite zur anderen im Metrum halber Notenwerte (Zählzeiten 1 und 3) zu schwanken. Die Hände patschen gegengleich zu den Füßen (Zählzeiten 2 und 4) seitwärts auf die Oberschenkel. Das zweite Kind pendelt entgegengesetzt zum ersten u. s. f. Im vierten Takt verharren die Pendelbewegungen aller Kinder auf der ersten Zählzeit, um in Takt eins erneut (ggf. im neuen Tempo) einzusetzen.

5. Das Spinnrad

Der folgenden Improvisation liegt ein Ostinato aus hohen, feinen Glissandi auf einem Psalter, einer äolischen Kinderharfe oder den mit einem Stab zu bespielenden Saiten des Flügelinnenraums zu Grunde. Die Spieler steigen nach und nach mit leisen, kurzen, stimmlosen S-Lauten ein (a), die sich zunehmend zu einem durchgängigen “ssss” verschmelzen (b), das in seiner Intensität lediglich durch chorisches Atmen schwankt. Den S-Lauten gemäß erfolgen pantomimische Zupfgebärden der Hände, die eine dicke Lage Schafwolle locker auseinander rupfen. Je einheitlicher sich das “sss” entwickelt, desto intensiver beginnen die Hände, gestisch einen einzigen, nicht enden wollenden Faden zu spinnen. Nach und nach verwandelt sich der S-Laut zu einem stimmhaft-weichen S-Klang (c) und dementsprechend organisch gestaltet sich die Ziehbewegung des imaginären Fadens. Das Spinnrad, dessen Drehen von den Händen mitvollzogen und mit kleinen Stimmglissandi begleitet wird (d), nimmt Fahrt auf und nach und nach füllen die Glissandi das gesamte Spektrum an Tonhöhen aus (e). Ein groß angelegtes Accelerando sorgt individuell für ein Reißen der gesponnenen Wollfäden, was durch ein abruptes Abbrechen und Verharren jedes einzelnen Spielers zum Ausdruck kommt (f). Sobald alle Stimmglissandi zum Stillstand gekommen sind, klingt auch der Begleitostinato mit einem ritardierenden Decrescendo langsam aus.

6. Das Treppenhinabsteigstück

Nun wird es Zeit zum Aufbruch in den ritterlichen Garten. Auf der steilen Treppe ist erneut Vorsicht geboten, bitte nicht drängeln!

An dieser Stelle bietet es sich an, das “Treppenstufenhinaufsteigstück” (vgl. Bsp. 3) in variierter Form noch einmal zu präsentieren. Diesmal beginnt das Sprechstück mit der zweiten Stimme, bevor kurz darauf die dritte einsetzt. Die erste Zeile sollte in dieser Version frei und nur punktuell, ggf. auch solistisch, über die Stimmen 2 und 3 gesprochen bzw. gesungen werden.

7. In der Tischlerwerkstatt

“Ein ereignisreicher ,Tag des offenen Burgtors’ strebt seinem Höhepunkt entgegen. Alle Besucher sind zu ritterlichen Festspielen bei Fackelschein in den Burggarten geladen. Mit Musik und Tanz soll der Tag ausklingen. Doch bevor Sie beginnen, das Tanzbein in ritterlicher Manier zu schwingen, sollten Sie einen Abstecher in die Tischler-Werkstatt nicht versäumen, um sich dort für die Teilnahme am Fest mit einem traditionellen Instrument, einem Schellenstab, auszurüsten.”

Bau eines Schellenstabs:
Benötigt wird:

  • eine Holzleiste (20 cm x 3 cm x 5 cm)
  • Schmirgelpapier
  • Hammer
  • drei verzinkte Nägel mit großem, flachen Kopf (ca. 5 cm lang),
  • sechs Kronkorken,
  • ein Dosenlocher,
  • Farbstifte, Plakafarben o. ä., evtl. Klarlack

Die Holzleiste wird glatt geschmirgelt, mit Stiften oder Plakafarben bemalt und ggf. lackiert. Je zwei in der Mitte gelochte Kronkorken bilden eine Schelle, indem man die glatten Flächen aufeinander legt und mit einem Nagel auf das Holzstück hämmert. Bei Bedarf können weitere Schellen befestigt werden.

 

8. Das Ritterfest

Das Lied im dorischen Modus wird zunächst gesungen und dient anschließend als Tanzmusik1 für einen Reigen. Als Instrumentarium kommt neben der C-Blockflöte, Stabspielen und Trommeln auch der selbst gebaute Schellenstab zum Einsatz. Der Spielsatz basiert auf ostinaten Begleitstimmen, die ihre Regelmäßigkeit nur in der Schlussbildung (T. 15-17) aufgeben.

Das Lied eignet sich als Reigen2, eine Tanzform, die ihren Ursprung im 13. Jahrhundert hat. Vier bis sechs Schüler bilden je eine Schlange, fassen sich an den Händen und schreiten oder hüpfen zur Musik durch den Raum. Das anführende Kind ist der Vortänzer: Es darf die Raumwege und -formen bestimmen und muss stets die anderen umherziehenden Gruppen im Auge behalten. lnnerhalb der letzten fünf Takte begeben sich alle Kleingruppen nach und nach auf eine gemeinsame Kreisbahn, um sich beim Schlussakkord mit Blick zur Kreismitte zu verbeugen. In der Tanzform “Reigen” ist ein Wechselgesang zwischen Vorsänger und Chor (Vortänzer und Gruppe) üblich. Wünscht man diese Solo-Tutti-Form, so bietet sich für das vorliegende Lied ein Wechsel nach jeweils vier Takten an. Lediglich die fünf abschließenden Takte sollten gemäß der angestrebten Tanzform von allen gemeinsam gesungen werden.

Versucht man sich dem Sachgebiet “Burgen und Ritter” musikalisch über eine in sich “runde” Einheit von Stimme, Instrumentalspiel und Bewegung anzunähern und die Gestaltung darüber hinaus von den fantasievollen Assoziationen und Ideen der Schüler bestimmen zu lassen, so muss man sich u. E. freimachen von originalen Ansprüchen an einen authentischen Umgang mit Themen aus alter Zeit. Um eine unmittelbare Identifikation mit der historischen Materie zu schaffen, bietet es sich in dieser Unterrichtseinheit an, über einen aktuellen Lebensweltbezug der Schüler in das Thema einzusteigen. Mögliche Kontroversen sollten gegebenenfalls auch im fächerübergreifenden Unterricht unter anderen Gesichtspunkten aufgegriffen und diskutiert werden.

Hörbeispiele auf der CD

  1. Begrüßungsrap
  2. Rap-Rhythmus
  3. Die alte Standuhr
  4. Das Ritterfest

 

Anmerkungen:

1 Der Einsatz geeigneter mittelalterlicher Tanzmusik bietet sich ebenfalls an.
2 An dieser Stelle wird auf eine Sachanalyse zum ritterlich-höfischen Tanz verzichtet und auf die einschlägige Literatur verwiesen.

Literatur:

Christine Anton / Hildegard Süß / lngrid Weber: Musik aus Mittelalter und Renaissance für die Klassen 3-6, Fuldatal 1993